Ausschnitte von Texten zu Bildern von Michael Weigel

Nacht

 
Wo wir schwammen im türkisen Meer und lachten und spielten im hellblauen Licht
Wo wir uns treiben ließen auf salzigen Wellen wo das Licht sich im Wasser bricht
Wo wir tauchten nach Muscheln und Perlen, wo der Sand kleine Wellen warf
Wo wir uns fühlten, so leicht und erhaben, wo sich unsere Liebe traf

Da bricht jetzt die Nacht hinein

Was eben noch klar war, schillernd und blau, wird jetzt zu tiefem Petrol
Kein Blick durchdringt mehr das Wasser, seit Noccus herrscht über Weh und Wohl
Er trägt einen Mantel aus schwarzem Licht und darunter die schuppige Haut
Und es erstarrt jedes Sonnengeschöpf, das ihm je in die Augen geschaut
Sein Blick ist silbern und kalt wie der Mond und schwarz umfließt ihn sein Haar
Nott ist sein Vater, die schwärzeste Nacht, und eine Sirene war es, die ihn gebar

Er wirft seinen Mantel über das Meer und taucht es in schwärzeste Nacht
Verbannt ist das lichterne Treiben, er entfacht eine nächtliche Pracht
Es öffnen sich Seeanemonen und es tanzen Medusen aus Glas
Es erscheinen alle Geschöpfe, die das Sonnenlicht immer vergaß

Seeschlangen winden sich zu Musik, die niemand hört und die alles durchdringt
Algen umfangen die Körper und Plankton, das glitzernd zu Boden sinkt
Noccus feiert sein finsteres Fest in des Meeres dunkelster Tiefe
Und es ist den Bewohnern der Nacht als wenn Noccus nach ihnen riefe

Sie drehn sich alle zu seltsamem Tanz und wiegen sich in schwarzem Licht
Doch Noccus ist wild und will sich vollenden bevor noch der Tag anbricht
Er taucht in die tiefeste See wo in ewiger Nacht die Nixenfrau wohnt
Und ihn, wenn er sie findet, mit dunkler Liebe belohnt

Gierig saugt Noccus die Küsse und ergießt seine Schwärze ins Meer
Und die Nixe nimmt mit sich hinunter, die Nacht, so schwarz und so schwer
Oben fällt das erste Licht auf die weichen Wogen, warme Winde wehen

Ein neuer Tag, mein Liebster, lass uns schwimmen gehen
 

Der Nebel

 
Wenn der Nebel über das Meer gekrochen kommt, grau, dicht und leise, läuft die Fischersfrau ins Haus.
Ihr bestes Kleid holt sie aus dem Schrank und rennt wie besessen zur Küste.
Dort steht sie und erwartet ihn. Denn der Nebel war es, der ihren Mann mit sich nahm; vor vierundvierzig Jahren.
Er hatte sie geküsst, im Morgengrauen und war hinausgefahren in die graue See.
Sein Regenzeug hatte er an und im Spiegel ihrer Seele sah sie immer noch seine gelbe Jacke im Dunst verschwinden.
Kalt war es gewesen, wie heute, und vollkommen still. Keine Welle kräuselte das Wasser und keine Möwe schrie.
Schon damals hatte sie so ein Gefühl gehabt, ihm über das Wasser hinterher laufen zu müssen.
Komm zurück!
Satt dessen kam der Nebel. Um die Mittagszeit, wo er längst bei ihr hätte sein sollen, stand sie am Ufer und sah, wie die weiße Wand langsam und unaufhaltsam auf sie zukam.
Sie wickelte die Jacke fest um den Leib und hielt Ausschau nach ihm. Nach seinem Boot, der gelben Jacke, einem Licht.
Bald war sie selbst ganz von Nebel verhüllt und wohin sie auch sah, war es weiß. Es war, als hätte sich der Himmel aufs Meer gesenkt, um ihn abzuholen. Ihren Mann.
Als hätten sich Wasser und Wolken vereint, um ihn emporzuheben und gleichsam aufzusaugen, in ein feuchtes Himmelreich.
Komm zurück!
Und als sich der Nebel verzogen und einem blauen Himmel Platz gemacht hatte, wusste sie, dass ihr Mann mit ihm gegangen war.
Da sie aber kein Grab hatte, an dem sie weinen konnte und keinen Gott, zu dem sie beten wollte, lief sie, immer wenn der Nebel übers Meer ging, in ihrem besten kleid hinaus.
Dort stand eine alte Frau mit rosiger Haut und langem, seidigen Haar, blutjung und voller Liebe für ihren Mann.
Denn sie hatte die Zeit angehalten, damals, als der Nebel kam und es ist ihr, als könne er jeden Moment wieder aus ihm auftauchen.
Komm zurück!
 

Die Nixe

 
Hej, ich bin die Meerjungfrau
Aber nicht mehr lange
Denn Du gefällst mir ganz genau
Mit Deiner Seeschlange

Ich häng hier schon seit siebenhundert Jahren
In der Seestern-Bar herum
Und hab schon Algen in den Haaren
Und um die Hüften rum

Die Wirbellosen hier am Tresen
Machen mich nicht an
Ich steh mehr auf andere Wesen
Was ich brauche, ist ein Mann

Wenn ich mal mit den Augen zwinker
Kriegst du nicht gleich Panik
Und wenn ich mit den Schuppen blinker
Lädst du mich ein, auf die Titanic

Und auf dem tiefem Meeresgrund
speisen wir und saufen Wein
Austern, Hummer, zwei, drei Pfund
Es darf auch gerne Kaviar sein
Das Wasser rauscht durch die Gerippe
Und macht dabei Geklimper
Ich rauche eine Algenkippe
Und wackle mit der Wimper

Dann packst du mich am Schuppenkleid
Und drückst mich an die Trosse
Ich sage noch, das geht zu weit
Da wird mir´s feucht um Herz und Flosse

Ach, mein schöner Wassermann
Wusst ich’s doch, du hast Format
Du bist einer, der es kann
Oben weich und unten hart

Jungfrau bin ich keine mehr
und schon lang nicht mehr gewesen
Doch wir Nixen sitzen sehr
gerne hier am Tresen