Ausschnitte von Texten zu Bildern von Ilse Korzitzki

Die Muse Rosa

 
Es stand ein Künstler in spe
voll Tatendrang im Atelier.
Die Pinsel sortiert,
den Kittel geschnürt,
fehlte ihm nur die Idee.

Er rückte die Leinwand ins Licht
und machte ein kluges Gesicht.
Er will etwas schaffen
und damit Geld raffen -
doch die Idee verweigert sich schlicht.

Was für eine Situation.
Es fehlt ihm an Inspiration.
Er macht ein paar Skizzen
und kommt schon ins Schwitzen -
da läutet das Telefon.

Es ist Rosa, das üppige Weib.
Der Künstler liebt ihren Leib.
Sie will ihn besuchen,
mit Kaffee und Kuchen -
nur so - zum Zeitvertreib.
Der Künstler wollte doch malen.
Nun leidet er böse Qualen.
Der Künstler wird hektisch -
Rosa ist so elektrisch.
Wie soll er die Miete bezahlen?

Schon steht die Schöne im Zimmer.
Im Auge den feuchten Schimmer.
Sie hindert den Künstler am Denken
und will ihre Liebe ihm schenken.
Er sinkt ihr zu Füßen – wie immer.

„Ach Rosa, deine Apfelbrüste
bereiten mir die größten Lüste“,
seufzt der Künstler ganz versessen
und hat plötzlich auch vergessen,
dass er malen müsste.

Die Leinwand ist so weiß wie Schnee.
Der Künstler lutscht an Rosa´s Zeh.
Schließlich schließt er ihr die Bluse
und küsst seine Lieblings-Muse
und hat endlich `ne Idee.
 

Dornröschen

 
Röschen war ein schönes Bild,
von Zartheit, Anmut und Süße.
Sie war ganz von dem Wunsch erfüllt,
dass Jeder sie genieße.

Sie war so harmonisch und positiv,
dass niemand sich an ihr störte.
Die Blätter so rosig, der Stängel nicht schief -
alles, wie´s sich gehörte.

Und weil sie sie alle so niedlich fanden,
wurde sie vielfach gedruckt.
Bald hing ihr Abbild in allen Landen
und wurd´ dennoch selten beguckt.

Da wurde dem Röschen bald klar,
sie war nur Dekoration.
Aus ihr würde niemals ein Star,
sie diente nur der Funktion.

Erst ließ sie das Köpfchen noch hängen.
Dann packte sie doch noch der Zorn.
„Ich lass mich in kein Bild mehr zwängen,“
rief sie und es wuchs ihr ein Dorn.

Sie stieg aus ihrem Rahmen
und wurde plötzlich ganz spitz.
Auch ihre Drucke entkamen
dem bürgerlichen Besitz.
Aus spießigem Alptraum erwacht,
blüht´s Dornröschen jetzt endlich auf.
Entfaltet in voller Pracht -
lässt sie sich selbst freien Lauf.

Sie duftet und blüht
und trägt ihre Spitzen.
Und wer sie so sieht,
möcht` sie gern besitzen.

Doch sie schenkt sich nicht Jedem
und gibt sich nicht hin.
Sie will selbst jetzt leben
und sagt sich: „Ich bin!“

Frauen und Romantiker sollten
hier aufhören zu lesen.









Da kommt ein Prinz mit der Heckenschere.
Der nimmt´s Dornröschen im Sturm.
Sie fällt vom Stängel, der Blick geht in´s Leere -
der Prinz blickt zufrieden vom Turm.
 

Frivoletta

 
Nachdem der Vorhang gefallen ist,
kommt sie noch einmal auf die Bühne.
Sie platziert sich elegant auf der Requisite
und neigt dankbar den Schwanenhals.
Es ist überstanden.

Monate der Qual, des Wiederholens,
des Probierens, des Zweifelns.
Tage ohne Rhythmus und Nächte ohne Schlaf.
Gedanken voller wilder Kreaturen.
Innere Bilder, denen äußere nicht folgen wollen.
Wie zäher Schleim tropfen schmerzvoll geborene Ideen ins Werk,
während das Ticken der Uhr wie ein Staccato in den Nervenbahnen trommelt.

Dann ist es so weit.
Sie tritt ins Licht; kein Herzrasen, kein Zittern, kein Schwitzen.
Nichts, nichts - sie fühlt nichts.
Nur die geschminkte Hülle steht da draußen, das Kostüm
und die Tanzbeine der anderen.
Ist da jemand? Aber sie klatschen, es müssen viele sein.
Applaudieren aus Höflichkeit?
Sie sieht keine Gesichter. Überhaupt nichts dringt zu ihr durch.
Aber alles kommt aus ihr heraus. Alle Kraft, alle Arbeit,
alle Liebe, alle Kunst. Alles, wofür sie lebt.

Nach einer hundertstel Sekunde ist alles vorbei.
Ein Jahrtausend ist vergangen.
Hinter der Bühne steigt sie ganz vorsichtig wieder in den Körper.
Irgendjemand kreischt ihr Begeisterung ins Ohr. Draußen tobt es.
Aber sie braucht Zeit.
Wie ein Falter pumpt sie Seele in ihr Ich und muss erst werden, was sie ist.
Man schubst und drängelt und schon steht sie wieder draußen.

Zittern. Der Schweiß läuft in Rinnsalen den Hals hinunter und Tränen aus den Augen.
Von unten wallen ihr Gefühle um die Beine.
Fassung. Sie ringt um Fassung und fängt sich schließlich.
Drückt die Schneckenbrüste raus und streckt die schmale Taille.
Keck den rosa Schenkel zeigen
und schon kommt auch der Pfau und springt ihr auf den Schoß.
Jetzt ist alles gut.

Frivoletta, Du hast es wieder einmal geschafft.
Wo alle Gewissheit im Herzen tragen,
ist bei dir nur Dunkelheit. Jeder Auftritt bring Dir Licht und ein leises:
„Du darfst sein.“